Meine Kernanliegen an der Vollversammlung des ÖRK:
Stell dir vor, alle Kirchen dieser Welt arbeiten gemeinsam und nicht gegeneinander. Sie tauschen sich aus über aktuelle Fragen, die die Welt und die Kirchen herausfordert und versuchen gemeinsam Lösungen zu finden. Sie beten gemeinsam, stehen gemeinsam für Frieden ein, diskutieren, essen miteinander und stärken so ihre Beziehungen untereinander. Dies ist die Idee der sogenannten «Ökumene».
In ihrer heutigen Form formierte sich die Ökumene kurz nach dem 2. Weltkrieg im «Ökumenischen Rat der Kirchen» (kurz: ÖRK), in einer Zeit, in der man sich besonders bewusst war, was Krieg auf dieser Welt anrichten kann und man die Beziehung zwischen den Christinnen und Christen auf der Welt wieder stärken wollte. Alle 7-9 Jahre versammeln sich seither alle 350 Mitgliedskirchen (hierzu gehören alle grossen protestantischen und orthodoxen Kirchen, die katholische Kirche ist mit «Gaststatus» dabei), um diesem Auftrag gerecht zu werden und Entscheidungen zu fällen, die Auswirkungen in die Mitgliedskirchen haben sollen. Diesen Sommer, vom 31. August bis am 8. September findet diese Vollversammlung in Karlsruhe (DE) statt und ich darf als eine der Delegierten der United Methodist Church (kurz: UMC) daran teilnehmen. Ein grosses Privileg, das ich nicht als selbstverständlich erachte. Die Vorbereitungen auf diese 9-tägige Konferenz und ihre Vor-Konferenz haben für mich bereits vor einigen Monaten begonnen. Zusammen mit anderen Delegierten der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz (kurz: EKS), zu der die EMK Schweiz dazugehört, und Delegierten und Teilnehmenden des World Methodist Council. Dabei lernten wir viel über die einzelnen Programmpunkte, die Schwerpunktsetzungen des ÖRK, über die Entwicklungen der letzten Jahre, etc.
Durch diese Vorbereitungen lernte ich nicht nur viel dazu, was die Geschichte der ökumenischen Bewegung, ihre Theologie und ihre aktuellen Herausforderungen angeht, sondern ich lernte auch, wofür mein theologisches und kirchliches Herz innerhalb dieser Bewegung besonders schlägt und wofür ich mich in diesen Tag in Karlsruhe besonders einsetzen möchte. Auf diese Themen will ich während den Konferenz-Tagen einen besonderen Augenmerk legen, mich für ihre Weiterentwicklung innerhalb der Arbeit des ÖRK einsetzen und unsere methodistische Stimme innerhalb dieser Themen stärken.
Klimakrise:
Wer diesen Blog oder meine theologische Arbeit im Allgemeinden schon länger verfolgt weiss, dass mich dieses Thema nun bereits seit einigen Jahren besonders intensiv bewegt. Es war ein Schwerpunkt meines Masterstudiums, führte mich in den politischen Aktivismus und treibt mich in meiner Doktorarbeit voran, die sich mit der Ethik und der Spiritualität der christlichen Ökotheologie beschäftigt. Zu sagen, dies ist bloss ein Interessenfeld meinerseits, ist wohl ein wenig untertrieben.
Es ist schön, dass an dieser Front vom ÖRK bereits einige wichtige Schritte gegangen wurden. So erschien 2020 das Heft „Cultivate and Care: An Ecumenical Theologe of Justice for Creation„, eine hilfreiche Ressource für die theologische Arbeit mit dem Thema. Daneben war der ÖRK mit diversen politischen Akteuren zum Thema im Gespräch, forderte und förderte entsprechende Resolutionen in der weltweiten Politik und versuchte daneben besonders auf die Stimme derer zu hören, die vom Klimawandel bereits heute betroffen sind, sowie auf die jungen Stimmen innerhalb der kirchlichen Tradition. Zudem erschien 2019 ein 5-Schritte Programm, dass Kirchen helfen soll, ihre Arbeit nachhaltiger zu gestalten.
Eine Herausforderung, die sich dem Thema Klimawandel aber aktuell stellt, sei es in der Gesellschaft, den Medien oder den Kirchen, ist diejenige des „Vergessens“ oder des „Weiter nach hinten schieben in der Prioritätenliste“. Neben Corona und dem Krieg in der Ukraine dürfen wir die Klimakrise und die Auswirkungen, die sie auch in den nächsten Jahrzehnten auf unsere Welt haben wird, nicht unterschätzen: die Ernährungssicherheit des globalen Südens ist weiterhin bedroht; extreme Wetterereignisse wie Hitze und Flut werden zunehmen und lokale Krisen auslösen; im Angesicht dieser Krisen wird die Versuchung gross sein, sich in traditionelle Muster zu flüchten, sei es in theologischen Aussagen oder in der Sicht auf die unterschiedlichen Geschlechter und ihre Rollen; Spannungen und Konflikte zwischen lokalen Gruppen, sowie zwischen Nationen werden zunehmen.
All dies sollte uns als ÖRK dazu motivieren, dieses Thema als eines der Kernthemen für Arbeit des ÖRK in den nächsten Jahren zu benennen. Ich bin der Meinung und werde mich dafür einsetzen, dass der ÖRK (weiterhin) seine Ressourcen in den nächsten Jahren dazu nutzen soll, um…
- Aufklärung zu betreiben, was die wissenschaftliche Grundlage des Klimawandels angeht (speak the truth);
- die eigene christliche Tradition und Theologie dahingehend untersuchen und hinterfragen, inwiefern unsere Theologie zu einer solchen Krise beitragen konnte, bzw. noch heute dazu beiträgt (reflect on and de-construct the system);
- Kirchen dahingehend unterstützen ihre Arbeit nachhaltiger zu gestalten; sowie
- die Arbeit des ÖRK nachhaltiger zu gestalten (reduce our emissions).
An der Vollversammlung selbst wird der 1. September im Zeichen des Klimas stehen und daneben wird es verschiedene Workshops für Teilnehmende und „Ecumenical Conversations“ für Delegierte geben, die sich dem Thema widmen. Ich werde (voraussichtlich) in einer der Ecumenical Conversations teilnehmen können, in der wir uns als eine kleinere Gruppe von Delegierten mit dem Klimawandel auseinandersetzen. Wir werden während der Versammlung viermal für eine Stunde zusammenkommen, um in der Tiefe über die Thematik zu sprechen. Inwiefern Erkenntnisse oder Forderungen aus dieser Conversations-Gruppe später in die Plenen einfliessen, weiss ich noch nicht.
Gleichberechtigung der Geschlechter:
„It became clear that women still continue to be abused, violated, and oppressed. The often heroic actions of individuals and organizations cannot, by itself, bring the transformation the world needs. The prophetic voices of those often quietened by unjust systems cry out for an end to all the words and structures that keep women silent, indoors, and powerless and call people of faith and goodwill to bring about deep and lasting change.“
Pilgrims on the Path of Peace, S. 23
Der ÖRK stellt sich ganz klar gegen ein Schriftverständnis, welches eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern anzweifelt. Im Angesicht der vielen Kirchen, die dies bis heute anfechten in ihrer Theologie und/oder Praxis, finde ich das bemerkenswert. Doch auch diese Arbeit war und ist nicht immer umstritten. So wird im Bericht „Pilgrims on the Path of Peace“, der einen Überblick über die Arbeit des ÖRK in den letzten Jahren gibt, darauf hingewiesen, dass es Orte auf der Welt gib, in denen es scheinbar ein „backlash“, ein Rückschlag (oder auch „Vergeltungsschlag“) gegen erzielte Erfolge im Bereich der Gleichberechtigung gibt. Hier soll nicht im Effort nachgelassen werden, sondern der ÖRK soll und will weiterhin eine Stimme für die unterdrückten Frauen sein.
Dabei ist es wichtig, dass diese Bewegung nicht nur von weissen Frauen vorangetrieben wird, sondern wir auf unsere BIPoC-Schwestern hören, wie wir diese Solidaritätsbewegung gestalten können, ohne in alte koloniale Muster zu verfallen oder die Fehler des weissen Feminismus zu wiederholen.
Übrigens: Ein Weg, wie u.a. auf das Thema aufmerksam gemacht wird , ist die Kampagne „Thursdays in Black“: an Donnerstagen wird schwarze Kleidung getragen, um auf Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Leider ist diese Kampagne noch immer nötig.
Menschliche Sexualität:
Kein einfaches Thema. Was schon in der methodistischen Kirche heiss diskutiert wird, ist auch auf dem ökumenischen Parkett keineswegs eine simple Angelegenheit. Dass hier in nächster Zeit eine Form von Konsens erreicht wird, ist wohl utopisch. In diesem Bereich will ich (und viele andere) mich dafür einsetzen, dass dieses Thema trotzdem weiterhin behandelt wird und wir hier als Gemeinschaft der christlichen Kirchen nicht den einfacheren Weg nehmen und das Thema in unseren Diskussionen scheuen.
Gleichzeitig erscheint es mir wichtig, dass hierbei nicht nur Fragen rund um Homosexualität im Zentrum stehen oder diskutiert werden, sondern auch andere Bezugspunkte rund ums Thema menschliche Sexualität: wie ist unser Standpunkt in Bezug auf sexuelle Aufklärung? Wie gehen wir mit der Einschränkung von reproduktiven Rechten in diversen Ländern um? Wie können wir der Stigmatisierung von Transsexuellen entgegen wirken? Was tragen wir als ÖRK zu der Entwicklung einer christlichen Sexualethik bei, die sich der Befreiung von patriarchalen Strukturen, Stigmata und Tabuisierungen verpflichtet?
Ich bin gespannt zu sehen, inwiefern diese Fragen rund um die menschliche Sexualität an dieser Vollversammlung Platz einnehmen (können) und welche Pläne für diesen Bereich in den nächsten Jahren in der Arbeit des ÖRK bestehen.
Dies sind einige der Themen, denen ich in meiner Vorbereitung mehr Zeit gewidmet habe und die ich während der Versammlung speziell im Auge behalten will. Ob sie zu den Kernthemen gehören, die ab nächster Woche in Karlsruhe besprochen werden? So ganz sicher, weiss das wohl noch niemand. Langweilig wird es uns, im Angesicht der aktuellen Weltlage aber bestimmt nicht, und die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns vorrangig mit innerkirchlichen Themen beschäftigen, ist an dieser Versammlung eher klein. Stattdessen werden wir herausgefordert werden, uns zu überlegen, wozu uns die „Liebe Christi drängt“ (2. Korinther 5, 14) und wie wir diesem Auftrag als ökumenische Gemeinschaft und innerhalb unserer jeweiligen Kirchen nachkommen können.
Ihr möchtet gerne über meine Zeit an der Vollversammlung auf dem Laufenden gehalten werden?
Am einfachsten geht dies, wenn ihr mir auf Instagram (@sarahbbach_ch) folgt. Dort werde ich Stories und Beiträge während der Vollversammlung hochladen. Am Sonntag, 4.9. erscheint zudem ein Video über die ökumenische Theologie mit einem Einblick in die Vollversammlung auf dem YouTube-Kanal der EMK Schwarzenburg. Längere Beiträge mit Reflexionen im Anschluss an die Vollversammlung werde ich hier auf dem Blog hochladen.
Zudem werde ich am 6. November um 10 Uhr im Brunch-Gottesdienst in der EMK Langenthal von meinen Erlebnissen in Karlsruhe berichten. Herzliche Einladung dazu!
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