Replik: „Die Klimaangst richtet sich gegen den Menschen“

Von Sarah Bach und Anna Näf, Theologinnen und Mitglieder der Christlichen Klimaaktion

(Replik auf den Gastkommentar von Lukas Weber in der NZZ am 6.3.23: https://www.nzz.ch/meinung/klima-der-glaube-an-einen-kollaps-macht-blind-ld.1728659?reduced=true)


Lieber Herr Weber,
in ihrem Gastkommentar nehmen Sie Bezug auf die Energiefrage und erklären, inwiefern sich ihrer Meinung nach die Forderungen der heutigen Klimabewegung gegen den Menschen richten. Ich kann ihren Ausführungen nicht beipflichten, weder auf politischer, noch auf theologischer Ebene.


Zuerst mal zu ihrem politischen Anliegen:
Sie verweisen darauf, dass in den 60er Jahren prominente linke Politiker auch für den Bau von Kernkraftwerken waren. Nun hoffe ich, dass die Menschheit grundsätzlich in 70 Jahren dazulernen darf (ich möchte auch nicht, dass man die christliche Gemeinschaft auf jene Meinungen verpflichtet, die in den 60er Jahren prominent vertreten wurden). Die Grundlage der Klimabewegung heute stellt nicht «Marxismus und Melancholie» dar, sondern die wissenschaftliche Grundlage zum aktuellen Ergehen unseres Planeten. Und ja, diese löst starke Gefühle aus, vor allem dann, wenn trotz dieser Erkenntnisse weiterhin so getan wird, als ob der Mensch machen kann, was er will, ohne Konsequenzen auszulösen. Es braucht ein Umdenken – auch in der Frage, wie wir unsere Energie gewinnen und wie wir diese einsetzen.


Nun schreiben Sie, dass die geforderte Energie- und Klimapolitik dem menschlichen
Wohlergehen entgegenstünden. Da frage ich mich: von welchen Menschen sprechen Sie?
Wenn ich mir ihre Argumentation anschaue, komme ich nicht umher, mir zu denken, dass es
ihnen ausschliesslich hier um die Menschen in der Schweiz, einem der reichsten Länder in
der Welt, geht. Jene Menschen, die unter einer neuen Energiepolitik «leiden» würden, da sie
evtl. auch mal auf etwas verzichten müssten (zBsp. auf die Schaufenster-Beleuchtung in der
Nacht oder die private Sauna zuhause) oder unsere Wirtschaft, die ihre Produktion
nachhaltiger und energieschonender gestalten müsste. Ich glaube aber kaum, dass es ihnen
um Menschen geht, die nicht innerhalb unserer nationalen Grenzen leben oder um die
Generationen nach uns. Um jene, die bereits heute unter den Folgen des Klimawandels
leiden, weil sie fliehen müssen, ihnen ihre Lebensgrundlage entzogen wird, sie sterben (Sie merken vielleicht, diesmal steht das Wort Leiden nicht in Anführungszeichen). Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass unsere nationale Politik sich immer nur um unsere nationalen Belange und entsprechend das Wohlbefinden der hier lebenden Menschen
kümmern könne. Auch wenn ich dies für eine enorme Unterschätzung unserer politischen
Möglichkeiten halte, kommen wir aber nicht umher, dass wir uns hier gerade als Christinnen
und Christen nicht so leicht rausreden können.


Sie beschreiben, dass die Klimaangst sich gegen den Menschen richte. Nein, die Klimaangst betrifft die Menschen. Die Menschen haben Angst, denn unser weltweites Klima steht kurz vor dem Kollaps und die Auswirkungen, die dies auf unsere Biodiversität und menschliche Gemeinschaft haben wird, ist aktuell unvorhersehbar. Aber anstatt als christliche Gemeinschaft die gott-gegebene Verantwortung wahrzunehmen, uns um die Erde zu kümmern(auch wenn es uns etwas kostet), vertrösten wir die Menschen auf irgendeine himmlische Vision, wo dann «schon alles gut ist». Wenn also hier jemand ein Apokalypse-Problem hat, dann sind es jene Christinnen und Christen, die weiterhin vor ihrer Verantwortung dieser Welt und all ihrer Bewohnenden die Augen verschliessen.

Im Weiteren nehmen Sie das Bild vom Menschen als «Krebsgeschwür» auf, welches den Planeten zerstört und von der Klimabewegung vertreten werde. Ja, die negativen Auswirkungen der menschlichen Existenz werden von der Klimabewegung ernstgenommen. Aber wenn tausende Menschen auf den Strassen demonstrieren, ihre Ernährung umstellen und auf allen Ebenen nach nachhaltigen Lösungen suchen, dann tun sie das, weil sie der Menschheit zutrauen, eine bessere Zukunft gestalten zu können.


Ihren Kommentar enden sie mit ihrer Beobachtung einer Klimabewegung, die religiöse Züge trägt. Ja, die Klimabewegung wurde für viele Menschen zu einem Ort an dem sie klagen und feiern, Gemeinschaft und Hoffnung finden können. Ein Ort, an dem der Wahrheit ins Auge geschaut und gehandelt wird. Wenn dies für (die christliche) Religion eine Bedrohung darstellt, dann würde ich eher anregen, sich zu fragen, warum die Klimabewegung all dies nicht in unseren Kirchen gefunden hat. Aber mit dem Finger auf andere zu zeigen, war schon immer einfacher…


Bildcredits: Melanie Wasser auf unsplash.com

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