Das Privileg des Pessimisten, oder: mit beiden Füssen im „hässlichen Jetzt“
„Ja weisst du, ich sehe das mit diesem Klimawandel eben eher pessimistisch. Die Erde wird ja sowieso untergehen, da können wir jetzt auch nicht mehr viel machen.“ Keine andere Aussage bringt mich so schnell auf 180 wie diese. Ok, das ist gelogen, es gibt noch viele andere Aussagen die mich ebenso schnell wütend machen, aber das ist jetzt hier gerade nicht der Punkt.
Der Punkt ist, dass diese Aussage nur aus einer sehr privilegierten Position heraus gesprochen werden kann.
Der Klimawandel gefährdet bereits jetzt die Lebensgrundlage von vielen tausenden Personen in der Landwirtschaft, führt zu Flüchtlingsströmen und bedroht Menschenleben. Also kann nur jemand, für den oder die der Klimawandel nicht wirklich eine Bedrohung darstellt, diese Aussage machen. Dies sind die Privilegierten – wenn nicht bereits der Gegenwart, dann definitiv der Zukunft. Damit meine ich, dass diese Menschen ungleichmässig wenig an den Folgen des Klimawandels zu leiden haben werden. Dazu gehören die Bewohner der meisten europäischen und anderer gut entwickelten Länder, sowie jene Länder und Menschen mit genug Vermögen.
Und hier bin ich mir durchaus bewusst, dass ich in die Gruppe der Privilegierten hinzu gehöre: ich bin weiss, in der Schweiz geboren und verdiene gutes Geld. Ich kann mir Dinge leisten und erachte Rechte als selbstverständlich, die mich definitiv als privilegiert definieren. Umso mehr habe ich durch dieses Privileg eine Verantwortung meinen Mitmenschen gegenüber, mich von diesem Privileg nicht zu einer passiven Haltung verleiten zu lassen.
Und genau das ist die Gefahr des Pessimismus.
Ein Pessimist ist jemand, der grundsätzlich vom schlechtstmöglichen Resultat ausgeht. Jemand, der die Fakten ansieht und die negativsten möglichen Auswirkungen nimmt und sich auf diese einstellt. Es ist eine „Grundhaltung, ohne positive Erwartungen, Hoffnungen“ (laut Duden). Wenn wir nun mit einem solchen Blick auf die Klimakrise schauen, die negativsten Prognosen annehmen und entsprechend unser Leben ausrichten, dann passiert: gar Nichts. Denn ich bin zu diesem Zeitpunkt schon überzeugt, dass es ja eh zu Ende gehen wird und dass mein individueller Beitrag nichts an der Sache ändern kann. Ich bin überzeugt, dass ich nichts Positives zur Lösung der Klimakrise beitragen kann, also kann ich ja auch die Fahrt ins Unvermeidliche geniessen.
Und so verleitet Pessimismus zu einem In-Aktivismus. Wer pessimistisch ist, muss nicht handeln. Wer pessimistisch ist, hat eine wunderbare Ausrede, um sich zurückzulehnen und zuzuschauen, wie die Erde weiter brennt – an anderen Orten. Nicht in meinem Garten oder meinem Haus. Und das ist der Clou: keiner kann pessimistisch sein, wenn das eigene Leben in Gefahr ist! Dann gilt es, das Beste zu tun, um die Situation doch noch abzuändern, dann gilt es im Mindesten realistisch zu sein, schon nur, damit unsere Psyche irgendwie mit dieser Katastrophe klar kommt, die uns hier bedroht.
Wenn wir wollen, können wir die Bedrohung spüren. Wenn wir wollen, können wir aber auch „pessimistisch denken“ und die Bedrohungen unserer Welt weiterhin wunderbar ignorieren.
Nicht nur die Bedrohungen des Klimawandels, sondern auch des weltweit alltäglichen Rassismus, Sexismus, der Ungerechtigkeit zwischen den Armen und den Reichen, den Mächtigen und den Schwachen. All diese strukturellen Ungerechtigkeiten[1], von denen wir Privilegierte nicht nur wenig spüren, sondern aktiv davon profitieren. Es sind all jene Bedrohungen, die unser Jetzt zu einem „hässlichen“ Ort machen, auch wenn unser eingezäuntes Gärtchen vielleicht gerade noch ein bisschen imaginären Schutz vor diesem Jetzt bietet. Und die Bedrohungen der aktuellen Welt werden durch die Bedrohung des Klimawandels nur noch verschärft und was wir jetzt als „hässlich“ bezeichnen wird „giftig“ werden – jedenfalls für den Grossteil dieser Welt.
Das klingt jetzt vielleicht alles sehr deprimierend und so, als ob ich ein Weltuntergangsszenario zeichnen will. Und es wäre nun einfach, die Augen zu verschliessen, mich in mein Gärtchen zurückzuziehen und mir einzureden, dass ich ja eh nichts tun kann. Es wäre einfach, ein Pessimist zu werden.
Aber ich kann es mir nicht erlauben, pessimistisch zu sein. Ich kann es mir nicht erlauben, ethische Bedenken beiseite zu schieben aufgrund der Erkenntnis, dass es hart bis unmöglich sein könnte, die nötigen Ziele zu erreichen.
Welche alternativen Denkstrukturen bleiben mir aber dann?
Nun, ich bin keine Optimistin. Ich glaube nicht mehr, dass alles schon irgendwie gut kommt solange wir uns alle „nur ganz fest lieb haben“ und ein paar Bäume umarmen gehen. Eine Realistin bin ich aber auch nicht. Die Realität lässt zum einen nicht genügend Spielraum für das, was getan werden muss und vor allem lässt die Realität (bzw. meine eingeschränkte Sicht auf die Realität) oft keinen Raum für Unvorhergesehenes und Unerwartetes. Es lässt keinen Spielraum für das, worauf mein ganzes Leben aufgebaut ist.
Also nenne ich mich hoffnungsvoll.
Cornel West, einer meiner Lieblingsphilosophen spricht sehr viel über Hoffnung und in einem auf YouTube veröffentlichten Vortrag sagt er folgendes:
What is the real thing? […] it has everything to do with ways in which love, the ways in which justice in motion generate hope, generate encouragement, generate a certain sense of enthusiasm for what is to come. Anticipation of the „not yet“ rooted in the ugly „what is“.
Was ist das wahre Ding? […] es hat alles zu tun mit der Art, wie wir Liebe schaffen, wie Gerechtigkeit, die in Bewegung ist, Hoffnung und Ermutigung generiert und eine Form von Enthusiasmus kreiert für das, was noch kommen wird. Es ist die Erwartung des „noch nicht“ inmitten des hässlichen „Jetzt“.
Cornel West, Hope is Spiritual Armor Against Modern Society’s Spiritual Warfare
Hoffnung lässt uns kreativ werden. Hoffnung lässt uns einen Weg bereiten, wo bisher keine Durchkommen war. Hoffnung widerspricht jedem Ruhig-Sitzen und passivem Zusehen, Hoffnung drängt uns zur Aktivität im Angesicht der Ungerechtigkeit. Denn unsere Hoffnung kommt gerade bei uns Christen ja nicht von uns! Sie ist nicht von dieser Welt, denn unsere Welt und ihre Realität würden sie zerstören. In unserer gelebten Realität gibt es keine Hoffnung, also muss die Hoffnung von anderswo kommen.
Als Christen glauben wir, dass diese Hoffnung von Gott kommt. Dass es diese Hoffnung ist, die uns durchträgt, auch dann (und vor allem dann), wenn sie den grundsätzlichen Regeln dieser Welt widerspricht und sie bricht. Deswegen glaube ich auch, dass es unser Auftrag als Christen ist, diese Hoffnung in die Welt zu tragen. Nicht in einer naiv-uninformierten Weise, sondern gerade weil wir informiert sind und wissen, dass wir ohne diese Hoffnung bereits verloren hätten! Wir müssen uns mit der Realität auseinandersetzen und wir müssen uns der Verzweiflung stellen, denn an genau den Orten der Verzweiflung braucht es diese neue Hoffnung am dringendsten. Wir müssen mit beiden Füssen ins „hässliche Jetzt“ hineintreten und mit anpacken.
Zwischen passiv-machendem Pessimismus und naivem Optimismus gibt es einen dritten Weg: den Weg der Hoffnung.
Diesen Weg möchte ich gehen.
Welchen Weg gehst du?
[1] Als strukturelle Ungerechtigkeit oder strukturelle Gewalt wird etwas bezeichnet, wenn ein gewisses Machtsystem oder eine Machtstruktur (politisch, religiös, kulturell,…) bewusst oder unbewusst dazu führt, dass Ungerechtigkeiten auftreten oder verstärkt werden. Typische Beispiele für strukturelle Ungerechtigkeiten in der heutigen Welt sind Rassismus, Sexismus oder Armut.