Wo wir unsere Unruhe finden
Was kann unser Glaube in Bezug auf die Klimakrise leisten?
Dies ist nicht nur eine theoretisch interessante Frage, sondern für viele, gerade auch jüngere Menschen, ist es aktuell die essenzielle Frage ihres Lebens und Glaubens. Was ist der christliche Glaube wert, wenn er angesichts der Versauerung der Meere, dem Schwinden der Artenvielfalt, der zunehmenden Wetterextreme, dem steigenden Meeresspiele, den Menschen nicht Orientierung, Kraft und Hoffnung geben kann?
Ich nähere mich diesen Fragen nicht nur aus beobachtender Perspektive, sondern aus beteiligter. Je mehr ich mich in den letzten Jahren mit der Thematik des Klimawandels auseinandergesetzt habe, desto mehr merkte ich, dass diese Realitäten, diese Prognosen und Zahlen meinen Glauben auf die Probe stellten. Ich konnte beobachten, dass dies nicht nur mir so ging, sondern dass viele meiner Freund:innen vor ähnlichen Herausforderungen standen. In jener Zeit nahm ich meinen Glauben als etwas war, dass sich in meinem Leben in drei Elementen zeigte: er gab mir Orientierung, Kraft und Hoffnung. Dies ist keine neue Einsicht, sondern diese drei Elemente ziehen sich durch unterschiedlichste Berichte aus der Kirchengeschichte und der Bibel und Menschen haben diese Elemente im Verlauf ihres Lebens auf unterschiedlichste Weise wahrgenommen. Ich glaube, dass es sich lohnt, die Frage, was der christliche Glaube in Bezug auf die Klimakrise leisten kann, mithilfe dieser drei Elemente zu beantworten
Das erste Element: unser Glaube gibt uns Orientierung
Traditionellerweise wurde dieses Element der christlichen Ethik zugewiesen. In diesem Bereich werden die Fragen des «guten Lebens», unter Einbezug der biblischen Aussagen, der kirchlichen Tradition und der eigenen Erfahrung, reflektiert. Wir glauben als Christen, dass sich in der Bibel eine Weisheit finden lässt, die auch noch heute, in einer veränderten Lebensrealität, helfen kann. Der Klimawandel gehört heute zu unserer Lebensrealität und zerstört bereits heute die Lebensgrundlagen vieler Menschen, Tiere und Pflanzen. Dies wiederum kann uns nicht egal sein, da wir wissen, dass der Klimawandel vom menschlichen Verhalten ausgelöst und beeinflusst wurde. Die Grund-Orientierung, das wichtigste Gebot für uns als Christen ist es, Gott zu lieben und unsere Nächsten zu lieben. Wenn wir also unsere Nächsten lieben, sollten wir alles daransetzen, ihre Lebensgrundlage zu bewahren. Unsere Orientierung, die uns der Glaube gibt, kann also nicht nur mit Worten beschrieben werden, sondern muss in ein verändertes Handeln münden. Unser Glaube sollte sich in einem einem Handeln für mehr Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit zeigen.
Ist dieses erste Element also das «gewinnbringende» Element im christlichen Kampf gegen den Klimawandel?
Ja und Nein.
Ja, es braucht ein erneuertes und mutiges Handeln für mehr Nachhaltigkeit in unseren Kirchen.
Nein, unser Handeln ist nicht das «gewinnbringende» Element – jedenfalls nicht das Einzige. Ich bin überzeugt, dass wir heute auch unsere Spiritualität neu verstehen müssen, damit unser Handeln zum Ziel gelangen kann.
Das zweite Element: unser Glaube gibt uns Kraft
Im Christentum wird dieses kraft-gebende Element oft als «Spiritualität» bezeichnet, benannt nach der «Geistkraft» («spiritus»). Wo liegt deine Kraft-Quelle? Im Gebet alleine oder in Gemeinschaft? Im Gottesdienst? Beim Lesen der Bibel oder beim Spaziergang in der Natur? Im Klagen? Ich bin davon überzeugt, dass wir alle mindestens einen solchen Zugang brauchen, der unserem Leben Kraft geben kann. Denn diese Kraft führt uns nicht bloss in die «Innerlichkeit», sondern sie stellt uns auch mitten in die Welt. Zu oft wurde christliche Spiritualität als etwas verstanden, womit wir der Welt entfliehen. Der Ausspruch von Augustinus, «Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir», kann dafür als prägnante Formel angesehen werden. Spiritualität wurde als anderes Ende der christlichen Ethik gesehen, als ob uns die Ethik in die Welt hineinführt und die Spiritualität uns aus genau dieser Welt und ihren Herausforderungen befreit. Braucht es aber im Angesicht der heutigen Weltlage nicht vielmehr ein unruhiges Herz? Ein Herz, dass sich nicht vorschnell abspeisen lässt mit leeren Versprechungen. Ein Herz, dass sich nicht aus Überforderung einlullen lässt und sich der Welt verschliesst.
Vielleicht braucht es ein neues Verständnis für eine christliche Spiritualität, die unser Handeln ermutigt und uns die nötige Kraft für dieses Handeln gibt: «Ruhig ist unser Herz, bis es Unruhe findet in dir.»
Das dritte Element: unser Glaube gibt uns Hoffnung
Christliche Hoffnung ist nichts Vertröstendes. Christliche Hoffnung ist jene Macht, die uns schon heute aufzeigt, dass eine andere Welt möglich ist und dass der Tod auch in dieser Welt nicht das letzte Wort hat. Christliche Hoffnung kommt in unser Handeln und in unsere Spiritualität hinein und flüstert: «Veränderung ist möglich.»
Wir brauchen diese Hoffnung, damit unser Handeln und unsere Spiritualität zu ihrem Ziel gelangen können.
Wir brauchen diese Hoffnung, damit unser unruhiges Herz weiter mutig schlagen kann.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in den „oeku Nachrichten“ (1/23): https://oeku.ch/wp-content/uploads/2023/03/oeku_Nachrichten-dt-1-23-web.pdf